II. TEIL: Vom Jahre 1500 bis zur Revolution

Die frühere Entwicklung der Gemeinde

In der langen Friedenszeit nach der Reformation und unter deren Einfluss konnte sich Dielsdorf nun wie alle anderen im Zürichbiet beinahe ungestört entwickeln. Schon im Jahre 1560 hatte es ein eigenes Gesetz, und bereits Anno 1567 tauchen in den Akten die Bezeichnungen hiesiger Dorfmeier auf. Diese hissen Benz (Benedikt) Meyer und Adam Müller und waren also die erstgenannten Gemeinderäte. Sie trugen aber noch den Titel Dorfmeier, weil sie nun an Stelle der früheren Herren- oder Klostermeier amteten. Da sie nach der Wahl dem Landvogt einen Eid schwören mussten, sagte man ihnen auch Geschworene. Einer von ihnen verwaltete das in einem Säcklein aufbewahrte Geld des Gemeindevermögens und wurde deshalb Säckelmeister genannt. Diese beiden von den Dorfgenossen gewählten Beamten genügten bis 1798 für den kleinen Ort vollauf. Einen Schreiber hatte man noch nicht und darum auch kein Protokoll, wohl aber einen Weibel, Förster, Brunnenmeister und Gänsehirten. Den Aufseher über die Kühe entschädigten die Viehbesitzer von sich aus. Schon dazumal sorgten die Dorfmeier neben anderem für den Unterhalt der Strassen, Liegenschaften und Waldungen, das Verfahren bei Bürgeraufnahmen, die Dorfpolizei und gut vorbereitete Gemeindeversammlungen. Zu deren Besuch waren alle Dorfgenossen verpflichtet. Wer ohne eine rechte Entschuldigung nicht erschein, wurde kräftig gebüsst. Zuerst besprach man zur Wiederholung für die jüngeren Mitbürger meist den genauen Verlauf der Gemeindegrenzen, die gelegentlich bei einem Umgang besichtigt wurden. Dabei nahmen die Behörden etwa einige Knaben mit und versetzten diesen bei besonders wichtigen Stellen zur Gedächtnisstärkung ein paar Ohrfeigen. Bei Abstimmungen galt schon früh der Spruch: Was der Mehrteil will, dem soll der Minderteil folgen. Viel Ärger hatten die Dorfmeier wegen der mancherlei Weidstreitigkeiten mit den Nachbargemeinden. Nach einem alten Vorrecht durften z.B. die Bauern von Steinmaur ihre Kühe auch auf der Dielsdorfer Allmend weiden lassen, was 1527 so geregelt wurde, dass sie nun immer einen Hirten mitschicken mussten. Die Regensberger hatten ebenfalls das Recht, ihre Schweine zur so genannten Eichelmast in den Brand und Gamis zu treiben. Als die Dielsdorfer dort Anno 1560 Jungholz gesetzt und eingezäunt hatten, wehrten sich die „Burger“ dagegen, wurden aber beschwichtigt und daran erinnert, dass sie „wieder das alt Harkommen“ ihre Pferde auf die hiesigen Allmend geführt hätten, was man seit Jahren lediglich „von guter Fründ- und Nachpurschaft wegen“ geduldet habe, worauf sie nachgaben. Die Dorfmeier mussten auch jene vielen Händel schlichten, die zwischen den verschiedenen Klassen der Bewohner entstanden waren. Es gab früher so genannte Vollbauern, welche für die Gemeindearbeiten einen ganzen Zug, d.h. vier Ochsen, Kühe oder Pferde zur Verfügung stellten. Wer davon nur die Hälfte besass, war ein Halbbauer. Solche, die gar kein Vieh schickten und „im Gmeiwerch nur mit ihren Lybern“ mitwirkten konnten, nannte man Tagnauer, Tagner oder Tauner. Das waren Taglöhner oder Knechte, aber doch Gemeindebürger. Nicht mehr dazu rechnete man die Angehörigen der vierten Klasse, d.h. die An-, Ein-, Bei- oder Hintersässen, mit welchen Namen ehedem die Niedergelassenen bezeichnet wurden. Sie mussten wie die andern Dorfgenossen öffentliche Arbeiten, Militärdienste sowie „Stür und Brüch“ leisten, durften aber an den Gemeindeversammlungen nur hinter den vollberechtigten Bürgern Platz nehmen. – Die meisten Streitigkeiten entwickelten sich zwischen den Bauern und der grossen Gruppe der Tagnauer. Die letzteren errechten Anno 1571 schliesslich, dass jedem ausser dem bisherigen Anteil im Tannhau jährlich ein halber Schlag im Bergwald zugeteilt wurde, während die Bauern einen ganzen erhielten. Im Herbst 1595 bekamen alle Taglöhner zusammen noch einen Eichenbau im Schwenkelberg. Die Forstwirtschaft jener Zeiten steckte noch in den Anfängen und wurde nun durch obrigkeitliche „Holzordnungen“ verbessert. Danach durfte es nicht mehr vorkommen, dass die Waldbesitzer ihre „Hölzer ganz ushouwend und gar zu Grund richtend“. Jeder Holzempfänger musste seinen Anteil „zum fürderlichsten ufmachen und heimbführen“ und durfte ihn nicht an Abnehmer ausserhalb der Gemeinde verkaufen. Kahlschläge mussten sofort wieder mit Nachwuchs aus dem „Pflanzgarten“ besetzt werden. Solche Flächen zäunte man ein, bis das junge Holz dem dort weidenden Vieh „ aus dem Maul gewachsen war“. Waldfrevler hatten ausser dem Schadenersatz noch Bussen zu bezahlen, z.B. bei einer Eiche 3 Pfund, einer Tanne 1 Pfund 5 Schillinge und bei andern Bäumen 1 Pfund. Davon bekam der Staat die eine Hälfte und das Gemeindegut die andere. Der vom Landvogt vereidigte „Holzforster“ musste die öffentlichen Waldungen „zum besten und trüwlichsten vergoumen“. Diese und die privaten ergaben noch manchen Nebennutzen. Der wichtigste war der schon erwähnte Weidgang. Dazu kamen die Laubgewinnung für Viehfutter, Stallstreue und für den Schlafsack, das Kohlenbrennen, das Suchen von Beeren und Pilzen sowie die Jagd. Diese war ehedem viel ertragreicher als heute, denn früher tummelten sich in unsern Wäldern neben den Rehen, Hasen und Füchsen auch massenhaft Hirsche, Wildschweine, Wölfe, Wildkatzen und Auerhähne. Zu den Pflichten der Dorfmeier gehörte ferner die Aufsicht über die Allmend, welches Gemeindeland je länger je mehr auch von den aufstrebenden Tagnauern beansprucht wurde. Gleichzeitig mit der obgenannten Haubewilligung von 1571 erhielten diese schliesslich die Erlaubnis, dass jeder im Sommer auch dann seine Kuh auf die Allmend treiben durfte, wenn er sie nicht zu überwintern vermochte, was nicht überall üblich war. Eine weitere örtliche Besonderheit bestand in den so genannten Bauernwiesen. Diese gehörten zwar der ganzen Gemeinde, dienten aber nur den Halb- und Vollbauern, die einzelne Teile davon bei Geldentlehnungen als Grundpfänder angeben durften. Die weiter vorn angetönten Anfänge der Aristokratie bemerkt man hier z.B. 1629 aus einem Befehl des Zürcher Rates, nach dem „die von Dielsdorf fürhin ohne eines Herrn Landvogtes Wüssen keine Gemeinden mehr halten sollten“ und wonach diejenigen zu bestrafen waren, die „mit ungebührlichen Reden des Vogts halber sich vergangen hatten“. Viel Mühe hatten die Dorfmeier ferner wegen Quellen, Bächen und Brunnen, und wenn ihre Anordnungen nicht befolgt wurden, übergaben sie solche wie auch andere Geschäfte dem Regierungsvertreter auf der „Burg“ zur Erledigung, der den Untertanen dann deutlich verkündete, was zu tun war. So befahl z.B. Landvogt Zoller im Sommer 1655, dass „das Wasser, so von beiden Brünnen und auch sonst bi Rägen durch das Dorf abkommt“, in Zukunft durch einen von den Anstössern unterhaltenen Graben nach dem Ried geleitet werden musste. Hie und da kamen solche Streitigkeiten, welche die Dormeier nicht zu schlichten vermochten, sogar vor das Amtsgericht und zwar auch dann, wenn es sich nach heutigen begriffen beinahe um Kleinigkeiten handelte. Über einen derartigen Fall berichtet die älteste Urkunde des Archivs der Politischen Gemeinde Dielsdorf. Das Datum dieses 76 cm breiten und 51 cm hohen Pergamentbriefes ist der 7. Heumonat (Juli) 1736, und der Text enthält das Urteil des Regensberger Amtsgerichtes über „drei Quelleli“ in einer Wiese im oberen Chänel. Diese gehörte der Gemeinde und befand sich südlich und oberhalb der Hirsmühle. Der obere und der untere Müller, die in dieser Sache ausnahmsweise einmal einig gewesen waren, hatten nun jenes Quellwasser zur Vergrösserung ihres gemeinsamen Vorrates durch einen Graben in ein Sammelbecken abgeleitet, aus dem später der Hirsmühleweiher entstand. Dadurch wurde das Wasser aber der Gemeindebrunnenstube entzogen, weshalb sich im Dorf unten grosser Mangel bemerkbar machte und die „Giessbrunnen abstanden“. Darum erlaubte das Gericht den Gemeindevertretern, jenes „Gräbli mit Steinen zu vermachen“ , und die Müller mussten sich mit dem Wasserzufluss des Riedstegbaches zufrieden geben. Dieser ganze Handel der „drei Quelleli“ wurde vom Land- und Gerichtsschreiber Huber auf 33 Zeilen weitläufig dargestellt, und man versteht den feinen Spott, mit dem er am Schluss bemerkte, die kosten seien „zur Pflanzung guter Freund- und Nachbarschaft“ schön auf beide Parteien verteilt. Item, die Gemeinde musste sich auch in diesem Fall für ihr Eigentum wehren und zwar gegenüber zwei reichen und gewalttätigen Widersachern. Zum Abschluss dieses Kapitels sei noch eine Zusammenstellung des hiesigen Gemeindegutes angeführt, die aus dem Jahre 1675 stammt und wie folgt lautet: „Erstlich hat ein jeder Inwohner die Gerechtigkeit, soviel Veech, als er vermögenlich, uff die Alment zu tryben, welliche von gewaltiger Wyte und erthragenlicher Nutzbarkeit ist. Sodenne kann jeder derselben von denen gmeinen Höltzeren sich zu sattsammer Notwenigkeit beholzen. Dann haben sy ouch gmeine Stuck Wissen, die sy jerlichen umb einen gwüssen Pfennig (Preis) uslychend, und der Empfacher derselben sich ouch eines fynen Nutzens zu geniessen hat. Item habend sy ouch ir erspartes gemein Güettli, so zwaren nicht gross ist, darus sy aber doch die Notwenigkeit irer gmeinen Usgaben ferggen (erledigen) könnend.

Das erste Dorfgesetz

Aus den Sitzungen des alemannischen und grundherrlichen Dorfgerichtes entwickelten sich mit der Zeit die eigentliche Gemeindeversammlungen, die schon früh samt den örtlichen Rechtsbegriffen durch Verordnungen geregelt waren. Diese wurden auf pergamentenen Rödel (Rollen oder Briefe) geschrieben, die man jeweils zur feierlichen Einleitung einer Zusammenkunft öffnete oder entfaltete, offenbar machte, öffentlich vorlas und darum Öffnungen nannte. Das älteste von etwa 150 solchen zürcherischen Dorfgesetzen stammt aus 1238, das jüngste aus dem 17. Jahrhundert, und eines der interessantesten ist dasjenige von Dielsdorf. Wahrscheinlich war es noch unter der sanktgallischen Grundherrschaft festgesetzt und dann wiederholt erneuert und abgeschrieben worden. Die aus den weiter vorn erwähnten Gründen ebenfalls im hiesigen Kirchgemeindearchiv aufbewahrte Fassung ist undatiert, entstand aber ums Jahr 1560, was man nach der Amtsdauer des genannten Untervogtes bestimmen konnte. Dieses Heft enthält zehn Pergamentblätter, wovon sieben beschrieben sind und zwar von einem Kanzlisten, der neben andern Eigenheiten eine auffallende Vorliebe für lange i (y) hatte. Das wertvolle Kulturdokument ist infolge des häufigen Gebrauchs stark abgegriffen und da und dort fast unleserlich. Die wichtigsten Artikel dieser Gemeindeordnung lauten in der alten Schreibweise: Diewil nutz und gut ist, das alle notwändygen dyng zu künfftiger gedächtnuss der gschrifft becolchen und ingelybt und dardurch vyl irung und spenn (Händel) gerichtet und verhuettet werdynt, so syge hyemit kunt und offenbar, das eyn gemeynd zu Dyelstorff ire fryheyt und grächtykeit, so sy (hat) zu iren nachburen, wye hernach volgt von ardyckel zu ardyckel (hat) beschryben und verfasse lassen in bysyn meyster Ruodolffen Buren, obervogt in gemälder herschafft (und) in namen der edlen, strängen, frumen (frommen), erenvesten, fürsichtigen, ersamen und wysen heren burgermeyster und räth der statt Zürich als iren heren und obern.

Volkszählungen in Dielsdorf

Diese wurden im Zürichbiet erst seit 1634 amtlich durchgeführt. In Bezug auf frühere Zeiten ist man auf gelegentliche Angaben, Rückschlüsse oder Berechnungen angewiesen. Solche ergaben z.B. für das Jahr 1467 in Dielsdorf die Zahl von 125 Seelen, wie die Alten statt Einwohnern schrieben, Anno 1615 waren deren schon 224. Die Volkszählung von 1634 ergab in 55 Haushaltungen 256 Einwohner. Nachher machte man eine Zeitlang alle drei Jahre solche Aufnahmen. Anno 1649 waren hier 297 Bewohner, 1675 deren 377, 1764 bereits 458 und 1799 schon 646.

Einwohnerzahlen von Volkszählungen
1836642 Einwohner
1850674 Einwohner
1860650 Einwohner
1870669 Einwohner
1880742 Einwohner
1888731 Einwohner
1900734 Einwohner
1910761 Einwohner
1920808 Einwohner
1930896 Einwohner
1941963 Einwohner
19501133 Einwohner
19551250 Einwohner
19581467 Einwohner
19601559 Einwohner